OLG Nürnberg: Die Pflicht des Geschäftsführers zur Schaffung von Compliance-Strukturen | 30.03.2022 (Az. 12 U 1520/19)

Urteil der Woche
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Bereits das bahnbrechende Urteil des Landgerichts München I vom 10.12.2013, Az. 5 HK O 1387/10 („Siemens/Neubürger“) hat alle Unternehmen wachgerüttelt. Spätestens seit diesem Urteil war allen Geschäftsführungs- und Überwachungsorgane bewusst, dass die sich aus dem Begriff Compliance ergebende Verantwortung eine nicht zu vernachlässigende und haftungsbewehrte Aufgabe ist. Bei einer Verletzung dieser Obliegenheit kann der Geschäftsführer für den entstandenen Schaden (persönlich) in Anspruch genommen werden, was das Urteil des OLG Nürnberg nochmals verdeutlicht.

Zum Hintergrund

Eine GmbH & Co. KG verklagte den Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH auf Zahlung von Schadensersatz. Die Begründung: Der Geschäftsführer habe seine Sorgfalts- und Überwachungspflicht verletzt. Dadurch war es einem Mitarbeiter gelungen, das Unternehmen über Jahre hinweg durch Untreuehandlungen zu schädigen. Der Mitarbeiter ermöglichte durch Überschreitung seiner Kompetenzen, dass einzelne Kunden der GmbH & Co. KG den ihnen zugebilligten Kreditrahmen bei der Nutzung von Tankkarten deutlich überschreiten konnten. Der insolvenzbedingte Zahlungsausfall dieser Kunden führte zu einem Schaden von über 800.000,00 EUR.

Die Entscheidung

Der Geschäftsführer haftet! Nach der Entscheidung des OLG Nürnberg gebiete „es die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers, eine interne Organisationsstruktur zu schaffen, die rechtmäßiges Handeln gewährleistet“ – zur Begründung dienen dem Gericht die Regelungen des § 43 GmbHG. Nach dieser sog. Unternehmensorganisationspflicht habe der Geschäftsführer das von ihm geführte Unternehmen so zu organisieren, dass er jederzeit Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft habe.

Ausgehend von dieser generellen „Compliance-Verpflichtung“ konkretisiert das OLG Nürnberg die hieraus resultierenden Einzelpflichten: Zusätzlich zu den Überwachungspflichten verlangt das OLG Nürnberg organisatorische Vorkehrungen, die die Begehung von Rechtsverstößen durch Mitarbeiter verhindern sowie Eingriffsmechanismen im Falle von Fehlverhalten. Eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers bejaht das OLG Nürnberg bereits dann, wenn „durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle Mitarbeitern der Gesellschaft Straftaten oder sonstiges Fehlverhalten ermöglicht oder auch nur erleichtert werden“. Notwendig sei also eine angemessene Kontrolle durch Durchführung stichprobenartiger, überraschender Prüfungen – Kontrollen, die erst nach Entdeckung eines Missstandes einsetzen, sind nicht ausreichend. Im vorliegenden Fall hob das OLG Nürnberg die Implementierung des Vier-Augen-Prinzips hervor. Mit diesem können im Einzelfall interne Vorgänge, die bei einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung Personenschäden oder erhebliche finanzielle Auswirkungen zur Folge haben, abgesichert werden. Generell liege die Grenze für solche Aufsichtsmaßnahmen der Geschäftsführung allerdings in der objektiven Zumutbarkeit.

Das Urteil des OLG Nürnberg lässt keinen Zweifel daran, dass die Geschäftsleitung die Einrichtung und Überwachung angemessener Compliance-Strukturen verantwortet. Das Urteil verdeutlicht allen Unternehmen einmal mehr die Wichtigkeit von effektiven Compliance-Maßnahmen zur (präventiven) Kontrolle, Vermeidung und Aufdeckung etwaiger Pflichtverletzungen.


Quellen:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 30.03.2022 – 12 U 1520/19 – openJur

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