EGMR: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bekräftigt Schutz von Whistleblowern | 14.02.2023 (AZ. 21884/18)

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Existiert ein hohes öffentliches Interesse an Missständen in einem Unternehmen, muss ein Whistleblower diese straffrei der Öffentlichkeit offenlegen können. Wird der Whistleblower dennoch für die Weitergabe der vertraulichen Informationen strafrechtlich verfolgt, wird dieser möglicherweise in seiner Meinungsfreiheit verletzt und kann Schadensersatz verlangen. Dies bestätigte am vergangenen Dienstag, 14.02.2023, die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).
Hintergrund der aktuellen EGMR-Entscheidung war die Verurteilung des gebürtigen Franzosen, Raphael Halet, im Zuge der sogenannten LuxLeaks.

Was waren die LuxLeaks?

Die LuxLeaks waren ein Finanzskandal aus dem Jahr 2014: Es ging um Enthüllungen von mehr als 300 Steuerdeals für multinationale Unternehmen in Luxemburg, darunter Apple, Amazon, Ebay, Heinz, Pepsi, Ikea und die Deutsche Bank. Aufgedeckt wurde der Skandal von zwei Beschäftigten von Pricewaterhousecoopers (PWC). Sie hatten zusammen mit einem Journalisten insgesamt 28.000 Seiten mit über 500 Vorbescheiden der Luxemburger Steuerbehörde durch Weitergabe an die Presse öffentlich gemacht. Diese beinhalteten aggressive Steuervermeidungsstrategie, welche die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsfirma PWC mit den luxemburgischen Behörden als Steuerdeals ausgehandelt hatte. Während der frühere PWC-Mitarbeiter, Antoine Deltour, sowie der Journalist als Whistleblower eingestuft und deshalb straffrei blieben, wurde der Kläger, Raphael Halet, für die Weitergabe, von unter anderem 16 Dokumenten, an die Medien zu einer Geldstrafe von 1.000 Euro verurteilt.
Hiergegen wehrte sich der Whistleblower und bekam nun Recht von den Richter:innen des EGMR: Das öffentliche Interesse an den Informationen habe den dadurch entstandenen Schaden überwogen. Das Leak sei daher von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen und das Urteil gegen Halet somit ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Luxemburg muss Halet für die Verletzung seines Rechts auf Meinungsfreiheit 15.000,00 Euro Schadensersatz sowie 40.000,00 Euro Gerichtskosten bezahlen.

Das wegweisende Urteil zur Anerkennung öffentlicher Whistleblower wurde nur wenige Tage, nachdem der Bundesrat in Berlin am vergangenen Freitag ein deutsches Hinweisgeberschutz-Gesetz vorerst gestoppt hat, gefällt.

Aktuelle Gesetzeslage zu Whistleblower in Deutschland

Am 16.12.2019 ist die „EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (2019/1937) in Kraft getreten.

Zur Umsetzung dieser EU-Richtlinie hatte das Bundesjustizministerium Anfang April 2022 einen Gesetzentwurf zum besseren Schutz von Whistleblowern erarbeitet. Der Bundestag hatte sodann am 16. Dezember 2022 das lange erwartete Hinweisgeberschutzgesetz (kurz HinSchG-E) beschlossen. Durch das neue Gesetz sollen Whistleblower in Deutschland künftig einen besonderen Schutz erhalten, wenn sie auf Missstände in Unternehmen hinweisen. Allerdings verweigerte der Bundesrat in der vergangenen Woche dem Gesetz die Zustimmung. Das im Dezember vom Bundestag verabschiedete Hinweisgeberschutzgesetz tritt deshalb vorerst nicht in Kraft.

Für Deutschland als Mitgliedstaat der EU wird es langsam ungemütlich: Die EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutz hätte spätestens Ende 2021 umgesetzt werden müssen. Die EU-Kommission führt inzwischen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen fehlender Umsetzung der Richtlinie.

Für Unternehmen und Whistleblower verleibt es damit vorerst bei einer unklaren Rechtslage. Nichtsdestotrotz sollten sich alle Unternehmen, die unter die Einrichtungspflicht des Hinweisschutzgesetz fallen, mit der Etablierung interner Hinweisgeberstrukturen beschäftigen.

Die Pflicht zur Umsetzung der EU-Richtlinie besteht weiterhin, weshalb das Hinweisgeberschutzgesetz – früher oder später – kommen wird.


Quellen:
hudoc.echr.coe.int

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