LG Erfurt: Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO nur für datenschutzrechtliche Zwecke? | 07.07.2022 (Az. 8 O 1280/21)

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Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) regelt das Recht auf Auskunft des Betroffenen. Diese Vorschrift gibt dem Betroffenen das Recht, vom Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu erhalten, ob personenbezogene Daten, die ihn betreffen, verarbeitet werden. Wenn dies der Fall ist, hat der Betroffene Anspruch auf Auskunft über eine Vielzahl die Verarbeitung betreffenden Umstände.

Damit bildet Art. 15 DSGVO zusammen mit den Informationspflichten des Verantwortlichen aus Art. 13 DSGVO und Art. 14 DSGVO einen fundamentalen Teil der Betroffenenrechte.

Allerdings sorgt das Auskunftsrecht immer wieder für Diskussion und Rechtsunsicherheit. Grund hierfür sind eine Vielzahl an ungeklärten Fragen. So ist etwa bislang nicht klar, ob der Auskunftsanspruch nur für datenschutzrechtliche Zwecke geltend gemacht werden darf. Genau mit dieser Frage hatte sich kürzlich das LG Erfurt zu beschäftigen.

Worum ging es?

Bei dem vom LG Erfurt zu entscheidenden Fall ging es um die Frage, ob der Kläger gegen seine Versicherung einen Anspruch auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO geltend machen kann. Das Problem hierbei war, dass er mit seinem Auskunftsbegehren keine datenschutzrechtlichen Ziele verfolgte, sondern die Rückforderung von Tarifbeiträgen und hierfür die Auskunft verlangte.

Was sagt die bisherige Rechtsprechung?

Es gibt einige erstinstanzliche Gerichte, welche die Ansicht vertreten, dass die Verfolgung von anderen Zielen als denen, die in der DSGVO genannt sind, rechtsmissbräuchlich ist. Insbesondere wird oft die Verwendung von DSGVO-Auskunftsansprüchen zur Durchsetzung von Leistungsansprüchen als ein Beispiel für einen solchen Rechtsmissbrauch angeführt. Zur Begründung wird vor allem angeführt, dass der Zweck des Auskunftsanspruchs darin liege, den Betroffenen zu ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung ihrer Daten zu überprüfen – nicht jedoch für dem Datenschutzrecht fremde Beweggründe. Der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO sei dementsprechend auf rein datenschutzrechtliche Zwecke zu beschränken.

In einem Urteil vom 08.09.2022 hat das LG Gießen (Az. 5 O 1954/21) eine andere Rechtsauffassung vertreten. Der Kläger hatte in diesem Rechtsstreit die Rückzahlung von (vermeintlich) zu Unrecht erhobenen Krankenkassenbeiträgen von seinem Versicherer gefordert. Um eine scheinbar rechtswidrige Tariferhöhungspolitik nachzuweisen, forderte er im Rahmen einer DSGVO-Auskunft eine Liste aller Tarifanpassungen seit dem Jahr 2012 vom Beklagten im Prozess, seinem Versicherer. Das LG Gießen wies die Klage ab, da es das Vorgehen des Klägers als rechtsmissbräuchlich einstufte.

Ähnlich hatten auch das LG Würzburg am 20.07.2022 (Az.: 91 O 537/22), das OLG München (Hinweisbeschluss vom 24.11.2021, Az. 14 U 6205/21 sowie das OLG Hamm (Beschluss vom 15.11.2021, Az. 20 U 269/21) entschieden. Alle drei Gerichte haben einen Auskunftsanspruch abgelehnt.

Das LG Erfurt ist anderer Auffassung

Das LG Erfurt spricht sich für einen weiten Anwendungsbereich des Art. 15 DSGVO aus.

„Es mag zwar unterstellt werden, dass es der Klägerin im vorliegenden Fall im Ergebnis nicht, jedenfalls nicht primär, um den Schutz ihrer Daten geht, sondern um die Vorbereitung vermögensrechtlicher Ansprüche. Der Geltendmachung eines auf Art. 15 DSGVO gestützten Auskunftsanspruch steht dies jedoch nicht entgegen.“

Das LG Erfurt begründet diese Auffassung einerseits mit dem Umstand, dass sich die Motivation des Betroffenen – datenschutzrechtlicher Zweck oder nicht – nur selten zweifelsfrei feststellen lasse. Andererseits ließe sich selbst bei einer primären „zweckfremden“ Motivation nicht ausschließen, dass es dem Betroffenen (zumindest) auch um den Schutz seiner personenbezogenen Daten geht.

Das LG Erfurt erwägt eine Vorlage an den EuGH zur Frage, ob bei sachfremden Zielen kein DSGVO-Auskunftsanspruch geltend gemacht werden kann.

Fazit

Die praktische Bedeutung des Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 DSGVO hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen und wird voraussichtlich auch in Zukunft weiter steigen. Trotz dieser Entwicklung bestehen nach wie vor erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich des Umfangs und der Anwendbarkeit des Auskunftsanspruchs. In diesem Zusammenhang hat der BGH dem EuGH mehrere Fragen zum Auskunftsanspruch vorgelegt (vgl. EuGH, Beschluss vom 29.03.2022, Az. VI ZR 1352/20). Die Entscheidungen des EuGH zu diesen Fragen werden mit großer Spannung erwartet.


Quellen:

Zum Vorlagebeschluss:
https://curia.europa.eu/juris/showPdf.jsf;jsessionid=7EDE836362962BFD15353644BE0A65C1?text=&docid=229881&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=15021607

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