BAG: Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Compliance-Untersuchung | 05.05.2022 (Az. 2 AZR 483/21)

Urteil der Woche
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Um eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, müssen Arbeitgeber:innen innerhalb einer Frist von zwei Wochen handeln, nachdem ihnen die Kündigungsgründe bekannt geworden sind. Diese Frist beginnt erst dann zu laufen, wenn die im Unternehmen dazu berechtigte Person alle relevanten Umstände für die Kündigung erfahren hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin bewusst versucht haben, diese Kenntnisse zu verhindern.

§ 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) […]
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. […]

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, in dem es darum ging, wie die Zwei-Wochen-Frist zu bewerten ist, wenn der Arbeitgeber umfangreiche Compliance-Untersuchungen eingeleitet hat. Die zentrale Frage lautete: Ab welchem Zeitpunkt beginnt in diesem Kontext die Zwei-Wochen-Frist zu laufen?

Vorgeschichte

Der Kläger war langjährig als Vertriebsleiter bei einem Rüstungsunternehmen beschäftigt, das Auftragnehmer der Bundeswehr war. Die Compliance-Abteilung des Unternehmens erhielt Hinweise darauf, dass Mitarbeiter geheime Dokumente des Bundesverteidigungsministeriums besitzen könnten. Im Oktober 2018 beauftragte das Unternehmen eine Rechtsanwaltskanzlei mit einer internen Untersuchung des Vorfalls. Diese Kanzlei erstellte einen Zwischenbericht, der im September 2019 der Geschäftsführung übergeben wurde und auch den Kläger sowie 88 andere Personen betraf.

Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos mit Schreiben vom 27.09.2019. Der Kläger argumentierte vor Gericht, dass die Beklagte die Zwei-Wochen-Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe, da die Compliance-Abteilung bereits seit Monaten von den Vorwürfen gegen ihn wusste.

Das Arbeitsgericht gab dem Kläger Recht. Auch die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten wurde vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg abgewiesen. Die Frist für die Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB sei nach Ansicht der Gerichte abgelaufen und die Kündigung mithin zu spät erfolgt. Die Begründung des Gerichts war, dass der Geschäftsführer, der das Recht zur Kündigung hatte, die Untersuchungen in Auftrag gegeben hatte, ohne regelmäßige Informationen zu erhalten, was als Fehler in der Organisation angesehen wurde. Das bedeutete, dass er die früheren Informationen des Leiters der Compliance-Abteilung berücksichtigen musste.

Das BAG war anderer Ansicht und hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg auf. Die Angelegenheit muss nun erneut vor dem Landesarbeitsgericht verhandelt werden.

Die Begründung des BAG

Das BAG widersprach entscheidenden Aspekten der Argumentation des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg.

Es stellte klar, dass die Kündigungsfrist erst mit der Vorlage des Untersuchungsberichts an den Geschäftsführer zu laufen begann. Dies lag daran, dass erst durch diesen Bericht eine Bewertung der Pflichtverletzung und aller relevanten Umstände, die für oder gegen eine Kündigung sprechen, möglich war. Das BAG führte hierzu aus:

Es muss alles in Erfahrung gebracht sein, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen ist. Dazu zählen insbesondere auch diejenigen Umstände, die das Gewicht einer Pflichtverletzung im Geflecht von weiteren an einem Fehlverhalten beteiligten Arbeitnehmern betreffen.

Darüber hinaus konnten die Richter keine Anzeichen dafür finden, dass die Informationen absichtlich verzögert wurden oder dass es organisatorische Fehler gab, die die Weitergabe an die Person, die kündigen kann, behinderten.

Infolgedessen hat die Klägerin die Zwei-Wochen-Frist eingehalten, weshalb das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur erneuten Überprüfung dorthin zurückverwiesen wurde. Das Landesarbeitsgericht muss nun erneut prüfen, ob die Kündigung rechtswirksam war, insbesondere ob ein gültiger Kündigungsgrund vorlag.

Zusammenfassung

Im Fazit und den Auswirkungen für die Praxis sind folgende Punkte hervorzuheben:

Das BAG betont, dass umfangreiche Ermittlungen in komplexen Compliance-Fällen erforderlich sein können, um vorschnelle Entscheidungen über Arbeitsverhältnisse zu vermeiden. Es wurde klar festgestellt, dass allein das Organisationsverschulden des Arbeitgebers nicht ausreicht, um die Kündigungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB auszulösen.

Das BAG hat zudem deutlich gemacht, dass die Kenntnis von Dritten nicht automatisch demjenigen zugeschrieben werden kann, der das Kündigungsrecht ausübt. Dies stellt sicher, dass Arbeitgeber:innen bei internen Ermittlungen nicht ständig über den Fortschritt informieren müssen, es sei denn, es wird ausdrücklich angeordnet, Informationen zurückzuhalten. Nur in solchen Fällen könnte die Zwei-Wochen-Frist überschritten werden und es käme zu einem Rechtsmissbrauch.

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