BAG: Das Kündigungsverbot im Mutterschutzgesetz und der Streit um den Zeitpunkt der Schwangerschaft | 24.11.2022 (Az. 2 AZR 11/22)

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Das Mutterschutzgesetz in Deutschland gewährleistet schwangeren Arbeitnehmerinnen einen besonderen Schutz vor Kündigungen während der Schwangerschaft und nach der Entbindung. Ein zentrales Element dieses Schutzes ist das Kündigungsverbot gemäß § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG).

§ 17 Kündigungsverbot

(1) Die Kündigung gegenüber einer Frau ist unzulässig

1. während ihrer Schwangerschaft,

2. bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und

3. bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung,

wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.[…]

(2) […]

Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 ist eine Kündigung während der Schwangerschaft unzulässig. Problematisch ist in vielen Fällen jedoch der genaue Zeitpunkt des Schwangerschaftsbeginns, weil der Zeitpunkt der Empfängnis nicht bekannt bzw. nicht (nachträglich) ermittelt werden kann.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) traf kürzlich eine Entscheidung im Zusammenhang mit dieser Problematik.

Der Streitfall

Im konkreten Fall erhielt die Klägerin am 7.11.2020 eine ordentliche Kündigung von ihrem Arbeitgeber. Etwa drei Wochen später erfuhr sie, dass sie bereits zum Zeitpunkt des Erhalts der Kündigung schwanger war. Daraufhin reichte ihr Anwalt eine Kündigungsschutzklage ein. Am 02.12.2020 gab die Klägerin dem Arbeitsgericht bekannt, dass sie sich in der sechsten Schwangerschaftswoche befand. Das Unternehmen erfuhr erst am 07.12.2020 von dieser Information, als eine Abschrift mit einer Schwangerschaftsbestätigung einer Frauenärztin vom 26.11.2020 vorgelegt wurde. Im weiteren Verlauf des Verfahrens vor der ersten Instanz reichte die Klägerin eine zusätzliche Bescheinigung ein. In dieser Bescheinigung wurde der voraussichtliche Geburtstermin auf den 05.08.2021 festgesetzt.

Die Klägerin argumentierte, dass die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot nach § 17 Abs. 1 MuSchG unwirksam sei, da sie bereits zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs schwanger gewesen sei.

Entscheidungen der vorinstanzlichen Gerichte

Sowohl das Arbeitsgericht Heilbronn als auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wiesen die Kündigungsschutzklage ab. Die Gerichte argumentierten, dass der voraussichtliche Entbindungstermin nur um 266 Tage zurückgerechnet werden könne – dies entspreche der durchschnittlichen Schwangerschaftszeit.

Sie wendeten sich damit ausdrücklich gegen das in ständiger Rechtsprechung angewendete Rechenmodell des BAG, wonach vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungstermin 280 Tage zurückzurechnen sind: „Wie schon das ArbG will auch die erkennende Berufungskammer diesem Rechenmodell nicht folgen. Die Kammer schließt sich der Kritik an, wonach die Rechtsprechung des BAG die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes (also die Existenz der Schwangerschaft) mit der prozessualen Frage des Nachweises der Schwangerschaft vermengt und dadurch zugleich den Schutzzeitraum in einer vom Normzweck nicht gebotenen Weise überdehnt.“

In konsequenter Anwendung der 266-Tage-Rechnung gelangten beide vorinstanzlichen Gerichte zum Ergebnis, dass ein Schwangerschaftsbeginn erst am 12.11.2020 vorgelegen habe, somit vier Tage nach Zugang der Kündigung. Mithin könne sich die Klägerin nicht auf das Kündigungsverbot stützen.

Das LAG hatte als Berufungsinstanz die Revision zugelassen, so dass der Fall beim BAG als für die Revision zuständiges Gerichte landete.

BAG-Entscheidung: 280-Tage-Rechnung für frühestmöglichen Zeitpunkt maßgeblich

Das BAG entschied (erneut), dass der Beginn des Kündigungsverbots gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG durch Rückrechnung von 280 Tagen ab dem mutmaßlichen Tag der Entbindung bestimmt wird. Diese Zeitspanne stellt die äußerste zeitliche Grenze dar, innerhalb derer eine Schwangerschaft bei einem normalen Zyklus auftreten kann.

Zur Begründung führte das BAG aus, dass das Kündigungsverbot darauf abzielt, schwangere Arbeitnehmerinnen vor wirtschaftlichen Existenzängsten zu schützen und seelische Zusatzbelastungen durch einen Kündigungsschutzprozess zu vermeiden. Dabei habe der Gesetzgeber bezweckt, dass alle Schwangeren von dem Kündigungsverbot profitieren. Diesbezüglich führte das BAG aus: „Ein solcher Schutz wird in besonderem Maße durch eine generalisierende Betrachtungsweise mit größtmöglichem Umfang des Kündigungsverbots erreicht. Nur so ist sichergestellt, dass ausnahmslos jeder schwangeren Arbeitnehmerin das Kündigungsverbot zugutekommt.“ Würde nur die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer (266 Tage) gelten, könnten Frauen mit einer längeren Schwangerschaft entgegen des gesetzlichen Willens dennoch gekündigt werden.

Gut zu wissen: Sofern die Empfängnis, also der tatsächliche Schwangerschaftsbeginn nachweisbar ist, kommt es auf die Vermutungsregel, d.h. die 280-Tage-Rechnung, nicht an.

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